AI-Gesichtserkennung und Emotionen


Ja, ich lache fröhlich auf obigem Bild. Aber denjenigen Personen, die mich besser kennen, wird das Bild vermutlich irgendwie seltsam vorkommen. Auf diesem Bild sieht man nur die halbe Wahrheit! Ich habe den alten Trick verwendet und meine eine Gesichtshälfte gedoppelt.

Es vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht Artikel davon lese, was AI alles «schon» kann oder «bald» können wird. Dazu gehört auch das Trainieren der Maschinen auf Gesichtserkennung. Aber nicht nur werden alle meine Bilder, die auf irgendeinem Weg ins www gelangen, gespeichert und ausgewertet, um mich immer besser zu (er-)kennen. Mit der Zeit soll die Maschine auch alle meine Gemütslagen und Emotionen erkennen können. Von da ist der Schritt nicht mehr weit, dass mich eine Maschine trösten kann, wenn ich traurig bin, oder mir Mut macht, wenn ich entmutigt bin. Oder noch besser: AI kann erkennen, ob ich lüge oder die Wahrheit sage!

Diese Weiterentwicklung der maschinengesteuerten Gesichtserkennung geht davon aus, dass Emotionen immer und von allen Menschen überall gleich und im Gesicht lesbar sind. Paul Ekman ist der bekannteste Vertreter dieser Theorie. Nur sind dessen Arbeiten inzwischen mehrfach widerlegt worden! 

Denn dummerweise sind gerade die nonverbalen Aspekte der Kommunikation besonders stark kulturell geprägt. – Unter «Kultur» verstehe ich nicht nur eine unterschiedliche geografische Herkunft der interagierenden Menschen: Bildung, Beruf, Gewohnheiten, Alter, Vorlieben etc.. Ich arbeite prinzipiell mit einem viel differenzierteren Kulturbegriff[1].

Dank meiner langen und internationalen Erfahrung weiss ich, dass es Menschen gibt, die sich im Gesicht nichts anmerken lassen, bei denen ich aber über ihre Haltung, ihr Verhalten, die Stimmlage oder andere nur intuitiv wahrnehmbare Zeichen ihre Gemütslage einschätzen kann.

Natürlich könnte ich die Maschinen mit Ganzkörperfotos füttern, mit Videos, mit Tonaufnahmen und das alles kombinieren. Der Umfang an verarbeiteten Daten soll sowieso in Zukunft immer weiter gesteigert werden (und damit übrigens auch der Energieverschleiss dieser Maschinen). Aber auch diese immer grösseren Maschinen werden sich kräftig irren!

Ich werde deshalb auch weiterhin Menschen trainieren sich gegenseitig zu lesen, zu beobachten, zu hinterfragen, einen echten Dialog zu führen, mit allen Sinnen und der menschlichen Intuition, um so sicher zu stellen, dass sie und ihr Gegenüber sich richtig verstehen. Irren ist menschlich, ja das stimmt. Aber die Irrtümer sind weniger folgenschwer als die der Maschinen, die für sich in Anspruch nehmen, unfehlbar zu sein.


[1] Siehe dazu auch mein Buch: «Kultur, Vielfalt, Integration» – ein Kompass im Dschungel kultureller Unterscheide, erschienen 2020 bei Panta Rhei, Zürich